Dienstag, 10. Juni 2014

"Du irrst dich", so hat fast jeder Satz an mich angefangen (...)

"'Leck mich am Arsch', sage ich, steh auf und gehe. Nach fünf Schritten werde ich wütend über mich selber, weil ich so grob geworden bin, so unnötig ausfallend, und er hat sich nichts dabei gedacht. Aber ich drehe mich nicht um und gehe weiter. Ich bezahle beim Kellner meine Rechnung, beim Hinausgehen sehe ich über die Schulter zurück zum Tisch und sehe, daß er verständnislos dasitzt, was ist in mich gefahren, und ich schließe die Tür hinter mir und will es ihm nicht erklären.
Oder ich liege mit Elvira im Bett. (...) Wir atmen noch schwer, wir haben noch nie darüber gesprochen, da fragt sie mich plötzlich: 'Sag mal, stimmt es eigentlich, daß du . . .'
Weiß der Teufel, wer es ihr erzählt hat, ich höre das Mitleid in ihrer Stimme und werde verrückt. Ich gehe ins Bad, setze mich in die Wanne und fange an zu singen, damit ich nicht etwas tue, wovon ich genau weiß, daß es mir nach fünf Schritten leid tut. Als ich nach einer halben Stunde wieder komme, fragt sie mich verwundert, was ich denn auf einmal hatte, und ich sage 'nichts' und gebe ihr einen Kuß und mache das Licht aus und versuche einzuschlafen." 
(Jurek Becker: "Jakob der Lügner")

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